Am 29. April 2025 hatte ich das große Glück, beim Konzert des Estnischen Philharmonischen Kammerchores (EPPC) unter der Leitung von Tõnu Kaljuste in der Pariser Philharmonie anwesend zu sein – ein Abend, der weit über eine bloße musikalische Darbietung hinausging. Es war ein Erlebnis an der Schnittstelle von Klang, Raum und Spiritualität.
Der Chor trat ohne Orchester, aber mit Orgel (gespielt von Kadri Toomoja) und einer bemerkenswerten Solistin auf – ein mutiger Rahmen, der sich als zutiefst wirkungsvoll erwies. Die Werke von Arvo Pärt, darunter die Berliner Messe, Spiritus sanctus vivificans vita und Magnificat, zeigten in ihrer klaren Struktur, wie viel Ausdruckskraft in Zurückhaltung liegen kann.
Was mich persönlich besonders berührte, war die akustische Architektur der Philharmonie de Paris. Jeder Atemzug, jede Vokalkante war spürbar – als würde sich der Raum selbst in die Musik einschwingen.
Was mich persönlich besonders berührte, war die akustische Architektur der Philharmonie de Paris. Jeder Atemzug, jede Vokalkante war spürbar – als würde sich der Raum selbst in die Musik einschwingen. Eine vibrierende Stille zwischen den Tönen, die fast greifbar wurde. Intimität, eingefasst in große Architektur – ein Widerspruch, der sich hier in vollkommener Harmonie auflöste.
Der Konzertabend war zugleich Auftakt eines internationalen Konzertzyklus zu Ehren des 90. Geburtstags des berühmten estnischen Komponisten Arvo Pärt, den der Chor unter Kaljustes Leitung in mehreren der weltweit bedeutendsten Konzertsäle aufführt – nach Paris folgen Berlin, London und New York. Der Chor gilt seit Jahren als einer der präzisesten und tiefsinnigsten Interpreten von Pärts Vokalmusik – oft selbst Uraufführende, immer mit Nähe und Verständnis für dessen „Tintinnabuli“-Ästhetik.
Die Werke des Abends entstanden meist zu besonderen Anlässen – Jubiläen, Einweihungen, Gedenkfeiern. In mehreren Sprachen, über Jahrzehnte hinweg, spiegeln sie auch Pärts bewegtes Leben, das ihn 1980 zur Flucht aus der Sowjetunion zwang. Entsprechend vielfältig war das Programm: von der Berliner Messe, gewidmet dem wiedervereinten Deutschland, bis zur Kantate „Dopo la vittoria“, die in Mailand an den Tod des Heiligen Ambrosius erinnerte.
Tõnu Kaljuste führte seinen Chor mit ruhiger Autorität und einem tiefen Gespür für klangliche Farbnuancen. Die stimmliche Homogenität, der subtile Ausdruckswechsel und die feine Dynamik beeindruckten zutiefst – besonders im Werk „The Deer’s Cry“. Auch sprachliche und stilistische Übergänge gelangen dem Ensemble mit bewundernswerter Klarheit und Intelligenz.
Unter den Solistinnen glänzte Marie Roos mit durchdringender Höhe und fehlerfreier Intonation, während Annika Lõhmus mit starker Präsenz und leuchtendem Klang punktete. Yena Choi wiederum bestach durch ihr feines Timbre und eine federleichte Phrasierung. Die männlichen Solisten überzeugten mit Stilgefühl, vor allem Danila Frantou mit seiner Interpretation orthodoxer Gesänge in slawischer Sprache. Bassist Henry Tiisma ergänzte das Ensemble mit ruhiger Tiefe. Kadri Toomoja an der Orgel und am Klavier verband sich nahtlos mit Chor und Dirigent – mal begleitend, mal tragend. Ihre musikalische Sensibilität war bemerkenswert, insbesondere in der Klangbalance.
Was bleibt von diesem Abend? Für mich war es nicht nur ein musikalisches Erlebnis, sondern auch ein kulturelles Statement. Ich bin überzeugt, dass wir mehr Räume für den interdisziplinären Dialog brauchen – zwischen Wirtschaft und Kunst, zwischen Verwaltung und Empfindsamkeit. Diese Verbindung hat Kraft. Ich bin dankbar, dass ich Teil dieses Moments sein durfte. Und ich gehe mit der Gewissheit: Das Wesentliche liegt oft im Leisen. Das Unsichtbare im Dazwischen. Das Tiefe im Einfachen.
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